Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Schweizerische Eidgenossenschaft noch ein Vasallenstaat Frankreichs. Nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Reiches im Jahr 1815 war der Bundesvertrag die rechtliche Leitlinie für das Funktionieren des Staates im Rahmen der vom Wiener Kongress beschlossenen Nachkriegsordnung. Die Eidgenossenschaft war jedoch politisch und religiös gespalten; wirtschaftlich erschwerten unterschiedliche Währungen, Gewichtseinheiten und Zölle den Umgang miteinander. Die Spannungen zwischen den protestantisch-liberalen und den katholisch-konservativen Kantonen gipfelten 1847 in einem Bürgerkrieg, dem sogenannten Sonderbundskrieg. Im "Sonderbund" hatten sich die katholisch-konservativen Kantone gegen die übrigen zusammengeschlossen.
Der Text innerhalb von 51 Tagen
Nach der bewaffneten Auflösung des Sonderbundes nahm sich eine 23-köpfige Kommission der Reform des Bundesvertrages an. Die Revisionskommission hielt ihre erste Sitzung am 17. Februar 1848 ab, und 51 Tage später war der Text der neuen Bundesverfassung fertig. Am 12. September 1848 erklärte die Geschäftsordnung sie für angenommen. Die Schweiz wurde damit zu einem Bundesstaat und zur ersten stabilen Demokratie in Europa.
So wurden die wichtigsten Pfeiler der heutigen Verfassungsordnung bereits vor 175 Jahren gesetzt: der Bundesrat als Exekutivorgan, die Bundesversammlung mit ihren beiden Kammern (National- und Ständerat), das Prinzip der Gewaltenteilung, die föderalistische Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen, die freien Wahlen und die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger.
"Es ging darum, alle einzubeziehen, vor allem das Volk. Das Volk sollte auch vertreten sein, nicht nur die Kantone", sagt Andreas Kley, Spezialist für die Schweizer Verfassung, auf dem SRF-Portal. "Der zweite Punkt betraf die Katholiken. Sie wurden auf Distanz gehalten, weil sie mit den liberalen Idealen nicht einverstanden waren."
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Wahlrecht: Frauen und marginalisierte Gruppen
Die Verfassung spiegelte aber auch die gesellschaftlichen Verhältnisse wider. Das Stimmrecht betraf nur Männer, und je nach Kanton waren unterschiedliche Personen ausgeschlossen: Arme, Steuerzahler, Straffällige, Bettler und Geringverdienende. Im Jahr 1848 wurde der Kreis der Stimmberechtigten stark ausgeweitet. Eine Verurteilung oder eine finanziell prekäre Situation ist seit 1971 kein Ausschlussgrund mehr. Auch Frauen durften 1971 zum ersten Mal wählen.
Es gab auch kantonale Besonderheiten: In Bern, Schwyz, Freiburg, Solothurn und Aargau durften Personen mit einem Verhandlungsverbot nicht wählen, im Tessin Wahlbetrüger, in Neuenburg und Genf Söldner oder in Solothurn Bettler und Landräuber. Diese Massnahmen galten teilweise bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Neue Revisionen zu Beginn des Jahrtausends
Im Laufe der Jahre und Jahrhunderte wurde der Text immer wieder überarbeitet, bis die 163 Teilüberarbeitungen ihn unklar und schwer verständlich machten. Er enthielt viele überholte oder unnötige Bestimmungen. Deshalb eröffnete der Bundesrat 1995 das Vernehmlassungsverfahren zur Verfassungsreform. Vier Jahre später verabschiedete der Bundesrat die Botschaft über das Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung und die notwendigen Anpassungen der Gesetzgebung.
Am Neujahrstag 2000 trat die neue Bundesverfassung zusammen mit einigen Gesetzesanpassungen in Kraft. Sie enthält insgesamt 195 Artikel, betont die Souveränität der Kantone und legt fest, dass die Landessprachen Deutsch, Französisch, Italienisch und Romanisch sind.
Dieses Inkrafttreten soll jedoch keinen Endpunkt darstellen. Weitere Reformen sollen schrittweise umgesetzt werden. Nach einer Volksabstimmung soll die Justizreform umgesetzt werden, die eine Grundlage für die Harmonisierung von Zivil- und Strafprozessrecht schafft, den Rechtsschutz verbessert und den Bundesgerichtshof entlastet.
"Wir haben die Verfassung 1999 komplett überarbeitet. Dieser Prozess dauerte von 1964 bis 1999", bemerkt Andreas Kley. "Wenn die Initiative angenommen wird, ist mit einem langwierigen Prozess zu rechnen. Aber ich denke, es ist legitim, über unsere Verfassung nachzudenken. Das hat seinen eigenen Wert in der Demokratie", so der Rechtsprofessor abschliessend.