Wenn die Tradition zum Terrain wird
Familienunternehmen bilden das Fundament der europäischen Privatwirtschaft. Sie machen schätzungsweise 70 bis 80% aller Unternehmen aus und beschäftigen fast die Hälfte der Arbeitskräfte in der Region (Europäische Kommission, 2023). Doch ihr Fortbestand ist fragil: Nur 30% überleben in der zweiten Generation, und nur 12% schaffen es in die dritte Generation (OECD).
Angesichts der statistischen Anfälligkeit von geerbten Unternehmen überdenken viele Erben ihre Rolle. Einige übernehmen Führungsaufgaben, andere gründen eigene Unternehmen. Laut einer weltweiten UBS-Umfrage unter 156 Unternehmern aus Unternehmerfamilien glauben 52%, dass ihre Unternehmungen das ererbte Unternehmen überflügeln werden, und 68% nennen persönliche Werte und nicht das Erbe als Hauptmotivator. Dies ist keine Rebellion, sondern ein Umdenken.
Vom Erbe zur Markteinführung
Marco, ein Erbe in dritter Generation aus Zürich, steht für eine wachsende Gruppe von Unternehmern der nächsten Generation, die das Familienerbe ergänzen, statt es zu kopieren. In einem Interview mit Altoo Insights erzählte er die Konturen seines Weges. Seine Familie hatte ein großes Unternehmen für Hochpräzisionsmaschinen aufgebaut, dessen Wurzeln bis in die Zeit des industriellen Booms der Nachkriegszeit zurückreichen. Marco hingegen studierte biomedizinische Technik an der EPFL in Lausanne, gefolgt von einem Postdoc-Stipendium in einem Biotech-Labor in Boston.
Nach seiner Rückkehr in die Schweiz begann er mit der Entwicklung einer biomedizinischen Diagnostikplattform, die auf neurodegenerative Erkrankungen im Frühstadium abzielt. Anstatt das Projekt in die bestehende industrielle Holding der Familie einzubetten, bestand Marco darauf, ein völlig separates Vehikel zu gründen. Die Gründe dafür waren sowohl persönlicher als auch strategischer Natur: unterschiedliche Risikoprofile, unterschiedliche Regulierungssysteme und ein anderer Zeitplan für die Wertschöpfung.
Optimieren Sie Ihr Vermögensmanagement: Einfachere Verwaltung für UHNWIs. Altoo Plattform Vorschau
Die Familie erklärte sich bereit, ihn zu unterstützen: unter der Bedingung, dass die operative Führung völlig unabhängig bleibt. Marco nahm externes Startkapital auf und ernannte einen Vorstand, der sich ausschließlich aus familienfremden Führungskräften zusammensetzt. Die Überwachung und Berichterstattung erfolgt über Altoo, die digitale Vermögensplattform, die bereits vom Family Office genutzt wird. So kann Marco seine Finanzdaten transparent weitergeben und behält gleichzeitig die volle Kontrolle über das Management. Die Vereinbarung, die durch die Berichterstattungsinfrastruktur von Altoo unterstützt wird, zieht eine klare Grenze zwischen dem Familienkapital und Marcos eigenem Kapital.
Auswirkungen innerhalb des Perimeters
Andere gestalten das Erbe nicht von außen, sondern von innen neu. Hayley Morris, die in zweiter Generation die Morris Group in Australien leitet, erbte nicht nur Kapital, sondern auch einen festen kulturellen Bauplan: Das Familienunternehmen, das ihr Vater Chris Morris nach dem Erfolg von Computershare gegründet hatte, war auf Gewerbeimmobilien und Gastgewerbe ausgerichtet. Hayley brachte einen anderen Schwerpunkt mit. Mit einem Abschluss in Nachhaltigkeit und einem starken philanthropischen Impuls baute sie innerhalb des Family Office eine Abteilung für erneuerbare Energien und Impact Investing auf, eine Initiative, die mit erheblichem internen Kapital unterstützt wurde.
In Interviews beschreibt sie den Prozess als einen "Aufbau gemeinsamer Ergebnisse aus verschiedenen Instinkten". Die von ihr eingeführte Struktur umfasst klar definierte Wirkungskennzahlen, getrennte Berichtslinien und einen unabhängigen Beratungsausschuss, der Projekte jenseits der traditionellen Anlageklassen bewertet. Ihre Initiative agiert nun halb unabhängig, bleibt aber kapitalisiert und wird von der breiteren Morris-Plattform gesteuert. Für Family Offices ist die Lektion klar: Die jüngere Generation muss die Familie nicht verlassen, um innovativ zu sein, sie muss nur Raum dafür bekommen.
Unabhängigkeit durch Distanz
Brad Harris schlug einen anderen Weg ein. Als Sohn des Mitbegründers von Flight Centre, Geoff Harris, hat Brad Harris die Herausforderungen einer unstrukturierten Führung aus erster Hand erfahren. "Mein alter Herr hatte keine Prozesse", sagte er in einem Interview mit The Australian. Nach seinem MBA-Abschluss gründete Brad Harris ein Schulungsunternehmen, das die Entwicklung von Führungskräften institutionalisieren sollte - ein deutlicher Kontrast zum eher informellen Modell der Familie.
Anstatt auf das Eigenkapital der Familie zurückzugreifen, finanzierte er die Anfangsphase selbst und stellte professionelle Coaches als Mitbegründer ein. Die Unternehmensführung war vom ersten Tag an formell: externe Vorstandsmitglieder, vierteljährliche Audits und definierte Wachstumsmetriken. Sein Unternehmen hat sich seitdem zu einem führenden Anbieter von B2B-Schulungen für Scale-ups und Familienunternehmen entwickelt, von denen viele seine eigenen Erfahrungen widerspiegeln.
Brads Erfolg liegt darin, dass er die formale Governance nicht als Zwang, sondern als Ermöglichungsdisziplin einsetzt. Sein Unternehmen bleibt unabhängig, aber der unternehmerische, respektlose und wachstumsorientierte Ethos spiegelt immer noch die DNA von Flight Centre wider.
Lektionen für das Family Office
Diese Erzählungen haben praktische Auswirkungen auf Family Offices, die mit der Begleitung von Generationenübergängen betraut sind. Erstens ist die Struktur wichtig. Wenn die Unternehmer der nächsten Generation als bloße Verwalter behandelt werden, leisten sie Widerstand. Wenn ihnen ein Rahmen geboten wird - getrennte Vorstände, segmentiertes Kapital, transparente KPIs - blühen sie oft auf.
Digitale Tools, wie die von Marco genutzte Altoo-Plattform, können die Transparenz fördern, ohne sich einzumischen - ein zunehmend wichtiges Gleichgewicht, da Family Offices über verschiedene Länder hinweg expandieren.
Unternehmen der nächsten Generation können das Kerngeschäft der Familie ergänzen, anstatt mit ihm zu konkurrieren. Ob es sich um Hayleys Portfolio für saubere Energie oder Brads Führungsinstitut handelt, diese Unternehmungen erweitern die Bedeutung der Familie auf neue Märkte und Generationen.
Der politische Kontext
Auch die Regierungen sind aufmerksam geworden. In Deutschland werden bis Ende dieses Jahres über 230.000 KMU-Nachfolgen erwartet, doch viele Unternehmen stehen vor der Schließung, weil es keinen vorbereiteten Nachfolger gibt (Reuters, 2025). Als Reaktion darauf führen Ministerien Pilotprojekte zur Unterstützung von Erben und Gründerinnen durch, darunter subventioniertes Coaching, Startkapital und Schulungen zur Familienführung.
Aus OECD-Berichten geht hervor, dass Europa bei der unternehmerischen Mobilisierung immer noch unterdurchschnittlich abschneidet: Nur 11% der Männer und 6% der Frauen unter 40 Jahren in der EU sind an Start-ups in der Frühphase beteiligt, obwohl das Interesse weitaus größer ist (OECD, 2023). Diese Diskrepanz (die sich auf über 7,5 Millionen unterrepräsentierte Unternehmer beläuft) ist nicht nur statistisch bedingt, sondern beeinträchtigt langfristig die Wettbewerbsfähigkeit.
Regieren: Vom Schatten zur Struktur
Wirksame Übergänge beruhen zunehmend auf einer zweistufigen Führung: eine für das alte Unternehmen, eine andere für das neue Unternehmen. Die schwedische Familie Wallenberg bietet eines der lehrreichsten Modelle für die moderne dynastische Vermögensverwaltung. Durch stiftungseigene Beteiligungen behält sie ihren Einfluss auf große Unternehmen wie Ericsson, ABB und AstraZeneca, während sie jüngeren Familienmitgliedern die Möglichkeit gibt, akademische, philanthropische oder unternehmerische Projekte zu verfolgen - mit finanziellen und Governance-Leitplanken, die ihnen vorgegeben, nicht aufgezwungen werden. Das Ergebnis ist ein Gleichgewicht zwischen Freiheit und Kontrolle. Nur wenige Dynastien schaffen beides so effektiv.
Zu den wichtigsten Mechanismen gehören:
- Familienverfassungen, in denen die Grundwerte und Entscheidungsbefugnisse festgelegt sind.
- Beiräte mit unabhängigen Direktoren als Gegengewicht zur Vetternwirtschaft.
- Klare KPIs und Meilensteine bei der Mittelbeschaffung für neue Projekte.
- Digitale Dashboards (über Plattformen wie Altoo), um die Leistung zu verfolgen und Transparenz zu schaffen.
Solche Mechanismen verwässern das Erbe nicht. Sie institutionalisieren es und ermöglichen die Kontinuität über Generationen hinweg.
Erbe mit Breitengrad
Die neue Generation von europäischen Unternehmern ist weder illoyal noch unengagiert. Sie sind Bauherren, nicht Kreditnehmer. Sie wissen, dass Reichtum, auch wenn er geerbt wurde, keine Identität verleiht. Diese muss man sich selbst erarbeiten.
Family Offices müssen Raum für neue Unternehmungen schaffen, die auf dem Erbe aufbauen, anstatt es zu schwächen. Wenn die Unternehmensführung klar ist, die digitale Infrastruktur solide ist und die Familien ihren eigenen Nachfolgern vertrauen, können die Ergebnisse von Dauer sein. Letztendlich ist das Erbe nicht festgeschrieben, sondern wird kontinuierlich von den Nachfolgern gestaltet.